ẞ – ein besonderer Buchstabe
Im Oktober 2021 fragte der Berliner Tagesspiegel in seinem Buchmesse-Spezial nach meinem Lieblingsbuchstaben. Ich habe eigentlich gar keinen, aber um der Provokation willen habe ich der Zeitung gegenüber behauptet, das Versal-Eszett sei mein Favorit.
Mein Lieblingsbuchstabe ist das ẞ, also das große Eszett oder Versal-Eszett. Es ist nicht nur der neueste Buchstabe des deutschen Alphabets, sondern auch so schön umstritten!
Ein Buchstabe umstritten? Denkt man gar nicht. Und doch dauerte die Debatte darum, ob die deutsche Sprache das Eszett auch als Großbuchstaben braucht, schon über ein Jahrhundert lang an, als der Rat für deutsche Rechtschreibung am 29. Juni 2017 die Verwendung des »ẞ« alternativ zum »SS« endlich offiziell erlaubte.
Gar nicht egal
Wer sich über sowas streitet, fragen Sie? Im November 2018 besuchten immerhin rund 80 Interessierte den Berliner Typostammtisch zum Thema Versal-ß. Sie hörten unter anderem den Vortrag der Designerin Nadine Roßa, die an diesem Abend als Betroffene sprach. Sie möchte, dass auch ihr Name in amtlichen Dokumenten richtig geschrieben wird – und sie heißt nun mal nicht ROSSA sondern ROẞA. Die MAẞE eines Gegenstands sind ja auch nicht das Gleiche wie seine MASSE.
Hier ein bisschen Typo-Nerd-Wissen, das Sie bei Ihrer nächsten Party droppen können: Das ß war ursprünglich eine Ligatur, also eine Verschmelzung von zwei Zeichen zu einem. In diesem Fall eine Verbindung des langen s »ſ«, das heute nicht mehr geläufig ist, mit dem runden s. Vielleicht war es auch eine Kombination von »ſ« und »z«, das ist historisch nicht eindeutig festzustellen, würde aber den Namen erklären.

Das Versal-Eszett – hier die Dresdner Form – sieht ein bisschen aus wie B. Genau das werfen Kritiker dem Buchstaben vor.
Mimimi
Die Gegner des Großbuchstaben-ẞ argumentieren jedenfalls, dass das ß eine Kleinbuchstaben-Ligatur sei und dass es im Deutschen auch gar keine Wörter gäbe, die mit Eszett anfangen. Sie führen außerdem an, dass bisher niemand eine überzeugende Form für diesen neuen Buchstaben entwickelt habe, dass die bisherigen Vorschläge dem Kleinbuchstaben zu ähnlich seien und überhaupt, dass man das ẞ allzu leicht mit einem B verwechseln könne.
Doch die Type-Desigerinnen und Schriftgestalter der Welt sind dran an diesem Problem und inzwischen haben sich vier Formen herauskristallisiert, die diesen Vorwürfen standhalten. Mein Favorit ist die Dresdner Form: Ist es nicht erfreulich, wie der obere Bogen noch an das lange s erinnert und mit der Diagonalen kontrastiert?
Sie sehen, es geht bei dieser Diskussion auch um Grundsätzliches, nämlich um die Frage, ob Schrift wandelbar ist und sein sollte oder nicht. Und falls Sie sich in dieser Angelegenheit als progressiv zu erkennen geben möchten, verwenden Sie doch bei nächster Gelegenheit mal das Versal-ß.
PS: Wenn Sie es genauer wissen wollen – dieser Artikel fasst die Diskussion anschaulich zusammen.
PPS: Auf Ihrer Tastatur werden Sie das ẞ nicht finden, aber auf dem PC können sie es mit der Tastenkombination [Shift] + [Alt Gr] +[ß] eingeben, auf dem Mac geht das leider nicht. Deswegen machen Sie es doch einfach wie ich: google + copy + paste.