
Foto: Hari Klein
Draußen vor der Tür
Im Mai 2021 hat ganz Hamburg noch einmal Wolfgang Borcherts Nachkriegsdrama Draußen vor der Tür gelesen und im Rahmen des Literaturfestivals »Hamburg liest« den 100. Geburtstag des Autors gefeiert.
Nefeli Kavouras, eine der Organisatorinnen des Festivals, hatte die Idee, Zitate aus dem Stück an Türen zu platzieren, die in Borcherts Leben wichtig waren. Sie bat mich, einen Schriftstil zu entwickeln, der das Stück und seine Enstehungszeit unmittelbar nach dem zweiten Weltkrieg mit der heutigen Zeit verbindet.

Als Erstes: natürlich das Stück noch einmal lesen und markante Zitate sammeln.
Projekt
Lettering-Zitate für das Literaturfestival »Hamburg liest«
Umfang
Recherche, Stilentwicklung und Lettering
Format
Lettering aus Vinyl geschnitten
ca. 70 cm breit
Jahr
2021
Kunde
Ham.lit e.V.
Die Recherche: Schrift in der Nachkriegszeit
Mein erster Gedanke war naheliegend: »Ich imitiere einfach die Handschrift des Autors.« Doch Wolfgang Borcherts Handschrift wirkt modern und lässt kaum vermuten, aus welcher Zeit sie stammt.
Also habe ich recherchiert, welche Art von Schrift es in der unmittelbaren Nachkriegszeit im öffentlichen Raum gab. Die entscheidende Anregung lieferte ein Foto von einer Nachricht, die mit Kreide an eine zerbombte Hauswand in Köln geschrieben war. Der Schreiber mischte Sütterlinschrift und die lateinischen Buchstaben, die wir heute benutzen.
Ich habe die Bildrechte für das Foto nicht, aber wenn Sie sehr neugierig sind, können Sie es sich auf der Seite des Kölner NS-Dokumentationszentrums ansehen.

Ein Versuch bei der Stilrecherche: Pinselschrift in einem Meter Breite. Wir haben diese Stilistik schnell verworfen, weil sie zu werblich und »flott« aussah.

Aber das Detail zeigt: energievoll und schön war diese Schrift schon.
Stilistische Entscheidungen
Das Prinzip, das ich im Foto gesehen hatte, griff ich für die Gestaltung der Zitate auf. Ich entwickelte eine verbundene Schreibschrift, die einige Elemente der Sütterlinschrift enthielt: eckige, gebrochene Rundung an Buchstaben wie »n« und »m« und einen Bogen auf dem »u«. Außerdem ersetzte ich einige lateinische Buchstaben mit ihren Sütterlin-Entsprechungen.
Damit die Schrift nicht nostalgisch aussah, entschieden wir, dass sie nicht handgemacht aussehen sollte. Stattdessen gab ich ihr klare Formen mit glatten Kanten. In der Produktion wählten wir außerdem leuchtend gelbes Vinyl – das ist auf dunklen Scheiben gut zu sehen und wirkt ganz heutig.

Schließlich habe ich die Zitate ganz klein mit Bleistift geschrieben, wie eine etwas stilisierte Handschrift.

Die Zitate sollten am Ende ungefähr 70 cm breit sein, hier ein Größenvergleich mit einer der Schriftvorlagen und einem Ausdruck eines fertigen Zitats.
Von der Handzeichnung zur Vektorform
Wir entschieden, die Zitate mit einem Plotter aus Folie schneiden zu lassen, statt sie von Hand zu malen. So ließen sie sich nach dem Festival leichter entfernen und wir konnten mehr Zitate platzieren. Für den Plotter brauchten wir saubere Buchstabenformen ohne allzu viele Details, also habe ich die Texte mit Vektoren nachgezeichnet.

Digitalisieren
Das Vektorisieren braucht viel Zeit und unzählige Klicks und der Prozess ist hypnotisch: die größte Herausforderung ist es, den Formen den Feinschliff zu verpassen, ohne sich in ihren Details verlieren.
Korrigieren
Ich korrigiere die Vektorformen analog, auf Papier sind Unwuchten einfach leichter zu erkennen. Die vielen Notizen sind meine Arbeitsaufträge für die nächste Überarbeitung.


Die Zitate im öffentlichen Raum
Die Zitate wurden aus leuchtend gelbem Vinyl geschnitten zwei Wochen vor dem Literaturfestival brachte Nefeli Kavouras die Zitate aus »Draußen vor der Tür« an Orten in Eppendorf an, dem Hamburger Stadtteil, in dem Wolfgang Borchert in den 1920er Jahren aufwuchs: vor seinem Geburtshaus, an der Tür seiner Schule, am Fenster der Universität Hamburg.




Fotos: Hari Klein