Links überspringen

Schreiben lernen

Von Juli bis September 2023 war ich als Stipendiatin auf dem Künstlerhof Schreyahn im Wendland, um Literatur zu schreiben. Weil nun alle fragen: »Und, wie war’s?« erstatte ich hiermit Bericht.

Ich hatte mich um einen Aufenthalt in der Stipendienstätte des Landes Niedersachsen beworben, weil mein erster Roman auf einem Hof in einem Dorf in Niedersachsen spielt. Ich dachte, die Landschaft und die landwirtschaftliche Umgebung würden die Arbeit an dem Buch inspirieren – und so war es auch.

Von Anfang Juli bis Ende September habe ich die ganze Erntezeit miterlebt. Jeden Abend bin ich zum Sonnenuntergang mit dem Rad in die Felder gefahren und habe festgestellt, wie viel sich verändert hat, seitdem ich als Kind mit der Landwirtschaft zu tun hatte und seitdem ich vor 20 Jahren nach Hamburg gezogen bin.

Landschaft im Wendland

Der Künstlerhof

Das Haupthaus des Künstlerhofs war die meiste Zeit unbelebt, die Stille dort unfassbar. 
Auf der Diele riecht es nach Großschriftstellern und Zigaretten, dabei ist Rauchen dort schon seit 2007 verboten. Der Zettel, mit dem der Samtgemeindebürgermeister das offiziell bekannt gibt, pinnt noch in einer Prospekthülle im Eingangsflur. Auf der Wanduhr daneben ist es für immer zwanzig vor acht, aber der Sekundenzeiger zuckt noch. Im ganzen Haus hängen Uhren und alle stehen still.

Das umgebaute Bauernhaus kam mir vor wie eine Zeitkapsel aus der Bundesrepublik der 1980er Jahre. Hinter der Dielentür aus dickem Glas schrieb ich an einem Pfarrhaustisch mit brauner Tischplatte und heller Holzkante. In der Mitte des Tischs ein gehämmerter Kupferkrug mit drei sterbenden Sonnenblumen und unter einem der hängenden Köpfe ein gelb gepuderter Kreis aus Blütenstaub. Von innen prallten die Fliegen gegen die Scheibe der Dielentür, von außen hatten die Handkanten von Fahrradtouristen fettige Abdrücke hinterlassen.

Im Innern des Künstlerhofs: Bücher. Bücher, Bücher, Bücher wo früher Kühe standen und wo unterm Dach das Heu lag. Klassiker der Weltliteratur, Werke aus den 1970er und 1980er Jahren und einige aktuelle Veröffentlichungen ehemaliger Stipendiat*innen. Wäre ich nicht zum Schreiben dort gewesen, hätte es meinem Buchhändlerinnen-Herz gefallen, die Bibliotheken dort zu ordnen und zu pflegen.

Diele des Künstlerhofs Schreyahn

Das Schreiben

Stattdessen habe ich während der drei Monate als Stipendiatin wesentlich mehr Zeit mit dem Schreiben verbracht, als sonst neben meinem Beruf, und die Rohfassung meines Romans von 75 Seiten auf 150 Seiten erweitert. Das Schreiben war nicht immer leicht. Denn da mein Roman einen autobiografischen Ursprung hat, bin ich im Schreiben mit mir selbst konfrontiert. Zu Beginn meines Aufenthalts dominierten die Zweifel: Kann ich das überhaupt – literarisch schreiben? Doch die kontinuierliche Arbeit am Text hat mir diese Unsicherheit genommen.

Anfangs basierte die Erzählung vor allem auf meinen eigenen Erinnerungen, doch im Laufe der drei Monate entwickelte sie sich von der Geschichte meiner Familie weg. Was »wirklich« passiert war, wurde unwichtiger und es ging immer mehr darum, wie ich die Geschichte erzähle und konstruiere – aus welcher Perspektive, in welchem Tonfall, mit welcher Haltung.

Zu dieser Entwicklung hat die zufällige Begegnung mit der früheren Stipendiatin Charlotte Gneuß beigetragen. Charlotte kam eines Abends im Juli auf dem Künstlerhof vorbei und klingelte bei mir, weil sie auch in „meiner“ Atelierwohnung gewohnt hatte. Wir kamen ins Gespräch übers Schreiben und haben uns auf Anhieb gut verstanden. Ihre Einschätzung von meiner Geschichte und ihr Angebot, einen Teil meiner Texte zu lesen und zu kommentieren, waren ein wichtiger Impuls für meine Arbeit in den Wochen darauf.

Zwei Wochen vor dem Ende meines Aufenthalts habe ich in einem Werkstattgespräch einen Auszug aus meinem Roman und einen Text aus einer Sammlung von Essays gelesen, an der ich parallel arbeite. 25 Besucher*innen hörten zu, die Reaktionen waren positiv. Ich hatte nicht mit Fachpublikum gerechnet, doch es war eine ehemalige Lektorin da, die mir anbot, einen Kontakt zu einer Agentin herzustellen. Durch das Gespräch mit der Lektorin weiß ich, was meine nächsten Schritte sind, um mich auf die Suche nach einer Agentin machen zu können: Ein Exposé schreiben, das die Geschichte des Romans auf zwei Seiten zusammenfasst und eine 30-seitige Leseprobe fertigstellen.

Lesung mit Chris Campe im Künstlerhof Schreyahn, Foto von Hari Klein

Foto: Hari Klein

Das Ergebnis

In Schreyahn habe ich drei Monate lang das Leben als Vollzeitschriftstellerin erprobt. Es wird noch eine Weile dauern, bis der Roman fertig ist. Doch die Zeit auf dem Künstlerhof hatte einen unerwarteten Nebeneffekt: Seit meiner Rückkehr weiß ich meinen eigentlichen Beruf als Designerin wieder zu mehr schätzen. Visuelles Gestalten verlangt mir einfach viel weniger Konzentration ab als die Arbeit an meinem Roman.

Immer wieder habe ich von ehemaligen Stipendiat*innen gehört, die nach ihrem Aufenthalt auf dem Künstlerhof ins Wendland gezogen sind. Falls der Künstlerhof also eine Art Werbemaßnahme für den dünn besiedelten Landkreis ist – sie ist erfolgreich, ich kann mir ebenfalls vorstellen, dort hin zu ziehen.

Bis es soweit ist, schreibe ich weiter, angetrieben von dem Ziel, dass das namenlose Gymnasium Walsrode, das ich als Schülerin besucht habe, eines Tages in »Chris Campe Gymnasium« umbenannt wird. Dann prangt auch am Tor unseres ehemaligen Hofs eine Messingtafel: »Hier lebte die Schriftstellerin Chris Campe«. Die Stadt Walsrode sieht außerdem ein, dass sie die Bezeichnung »Hermann-Löns-Stadt«, die sie seit 1935 als Beinamen trägt, im neuen Jahrtausend endlich aufgeben sollte und dass um den Zusatz »Chris-Campe-Stadt« kein Weg herumführt.

Ich arbeite dran. Think big – kost ja nix.

Chris Campe, fotografiert von Hari Klein

Foto: Hari Klein

Einen Kommentar hinterlassen