Warum ein Daily Project?
Ich habe schon ein paar mal versucht, 100 Tage lang täglich eine bestimmte kleine Kreativaufgabe zu erfüllen: Jeden Tag Lettering zeichen, jeden Tag ein Muster gestalten, jeden Tag eine Animation erstellen. Solche 100-Tage-Projekte sind inspirierend und nützlich, selbst wenn man – wie ich – die 100 Tage nicht durchhält.

Was sind Daily Projects?
Ein Daily Project ist eine Kreativ-Challenge, bei der ich mir vornehme, für einen bestimmten Zeitraum täglich an einem Thema oder einem Projekt zu arbeiten. Zum Beispiel jeden Tag für einen Monat, 100 Tage, 365 Tage oder jede Woche für 52 Wochen.
Daily Projects sind die Gelegenheit, etwas Neues zu lernen und es regelmäßig zu üben. Durch die Vorgabe, mich täglich mit dem Thema zu befassen, muss nicht jeden Abend wieder überlegen, ob ich mich noch ransetzen soll, oder doch lieber fernsehen. Das klingt wie ein strenges Regiment, aber es kann aber sehr befreiend sein, weil die Entscheidung, dass ich etwas mache schon getroffen ist. Ich muss nur noch entscheiden, was ich mache.
Aber auch das ist bei manchen dieser Projekte schon eingegrenzt durch vorgegebene »Prompts«, also Stichwörter, zu denen die Teilnehmer*innen arbeiten. Das hat den Vorteil, dass ich nicht groß überlegen muss, was ich mache, außerdem kann mich so ein Impuls von außen auf Ideen bringen, auf die ich von alleine nicht gekommen wäre.

Bei anderen Challenges ist man ganz frei und steckt sich einen eigenen formalen und inhaltlichen Rahmen. Ich entscheide also selbst, ob ich 15 Minuten oder eine Stunde pro Tag an dem Projekt arbeite oder so lange bis ich ein bestimmtes Ergebnis erreicht habe. Mir sind diese freien Daily Projects lieber, denn meistens ergeben sich für mich aus einer Idee gleich die nächsten zehn, da möchte ich nicht an Vorgaben gebunden sein.
Begeisterung und Würgen
»The 100 Day Project« von Lindsay Jean Thomson ist so eine freie Challenge. Dabei starten alle Teilnehmenden an einem bestimmten Termin und die Gemeinschaft und der Austausch mit anderen sind ein wichtiger Teil des Projekts.
Auch bei meinem ersten Daily Project war die Community eine Bereicherung. Der Impuls dafür kam von Francis Chouquet, denn er hat in einem Vortrag beim Berlin Letters Festival erzählt, wie sehr 100-Tage-Lettering seine Arbeit vorangebracht hat. Als er mit seinem Vortrag fertig war, wollten wir im Publikum diese Erfahrung auch machen und so haben wir Francis dazu gebracht, die nächste Runde 100-Tage-Lettering direkt nach dem Festival im Mai 2019 zu starten.
Für mich und viele andere floss die Energie, die das Festival freigesetzt hatte, direkt in die Challenge ein und das tägliche zeichnen und auf Instagram zeigen, veränderte auch meine Art zu arbeiten. Seit der Challenge ist mein Skizzenbuch für mich ein wichtiges Gegenüber und Arbeitswerkzeug und aus den vielen Alphabeten, die ich für 100-Tage-Lettering gezeichnet habe, ist ein Jahr später mein Buch »Alphabets« geworden.

Doch nicht immer sind 100-Tage-Projekte so erfolgreich. Im Winter 2020 habe ich auch bei der nächsten Runde 100-Tage-Lettering mitgemacht und mir vorgenommen, jeden Tag eine Lettering-Animation zu produzieren. An Tag 23 habe ich aufgegeben. Mein Vorhaben war einfach zu ambitioniert. Animationen sind aufwändig und ich beherrschte die Technik nicht genug – auch diese Erkenntnis kann das Ergebnis einer Challenge sein.
Egal, mit wie viel Bedacht ich meine Regeln für das Projekt stecke, manche Tage sind hart. Es gibt Durchhänger, zähe Zeiten und je länger ich durchgehalten habe, umso schmerzhafter ist es, es mir einzugestehen, wenn ich es an einem Tag nicht schaffe. Doch das Leben geht vor und es ist kein Weltuntergang, einen Tag auszusetzen. Ich hänge den Tag einfach hinten an.
Alles gehört dazu – Freude, Überschwang, Inspiration, aber auch Langeweile, Ungeduld und Frust. Und eigentlich geht es bei diesen Projekten darum, sich selbst besser kennenzulernen: Was macht mir Spaß? Was fällt mir leicht? Wann wird mir langweilig und wo quäle ich mich? Wenn ich diese Dinge über mich weiß, kann ich viel besser »der Energie zu folgen« und genau das machen, was mir Freude macht und mir leicht fällt.
Meine Mutter würde an dieser Stelle mahnen: »Aber das kann man sich ja nicht immer aussuchen!« Da hat sie recht. Aber man kann es anstreben.
100 Tage Muster
Ein weiterer Bestandteil einer 100-Tage-Challenge ist es, den Prozess anderen zu zeigen. In den sozialen Medien oder einfach einer nahestehenden Person. Da durch wird die Selbstverpflichtung zum täglichen Tun verbindlicher, außerdem macht so ein Projekt mehr Spaß, wenn man andere mitnimmt und sich mit ihnen austauscht. Viele Menschen schauen gerne zu, wie sich eine Arbeit entwickelt. Mir geht es auch so, bei manchen Künstler*innen freue ich mich jeden Tag auf das Update.
Im Frühjahr 2022 habe ich mich 100 Tage lang mit Mustern beschäftigt – analog mit selbst geschnitzten Stempeln und digital in Adobe Illustrator. Ich wollte schon immer mal richtig Illustrator lernen, das habe ich im Rahmen der Challenge getan. Meine Regeln für diese 100 Tage waren: jeden Tag ein bisschen was machen, zum Beispiel ein Muster gestalten oder einen Online-Kurs über Mustergestaltung weiter gucken. Ich habe mich jeden Tag mit Mustern beschäftigt, gepostet habe ich nur, wenn ich etwas zu zeigen hatte.
Ich werde oft gefragt, woher ich meine Ideen hab und eine Antwort darauf ist: durchs Machen, dadurch, dass ich – wie es bei uns zu Hause früher hieß – »ständig im Gange bin«. Und Daily Projects eignen sich sehr gut dafür, im Gang zu bleiben.

Mehr über Daily Projects
The 100 Day Project
Auf der Seite des 100 Day Projects kann man sich für den Newsletter anmelden um zu erfahren, wann die Challenge das nächste Mal beginnt.
Silke Schmidt
Etwas Besonderes sind die 100-Tage-Projekte der Künstlerin Silke Schmidt. Sie kann nicht nur toll zeichnen, sondern auch wunderbar erzählen und im Frühjahr 2022 macht sie schon zum sechsten mal beim 100 Day Projekt mit. Allein die Titel sind toll: »100 days of catching stars«, »100 days of people I have met along the way« und dieses Jahr: »100 days out of Berlin«.
Stefano Stoppani
2021 hatte Stefano Stoppani sich vorgenommen, ein Jahr lang jeden Tag einen Stempel zu schnitzen damit ein Muster zu drucken. Doch als das Jahr rum war hat er einfach weitergemacht. Seinen Instagram-Namen 365blockprints hat er beibehalten, denn seine Stempel und Muster haben dort schnell viele Fans gefunden.
Mark Addison Smith
Ob Stefano Stoppani so lange weitermachen wird wie Mark Addison Smith? Mark hat sein tägliches Zeichenprojekt You Look Like the Right Type am 23. November 2008 begonnen und seitdem keinen einzigen Tag ausgesetzt. In einem Interview für diesen Blog habe ich ihn gefragt, ob er eigentlich eine Exit-Strategie hat.

Jeden Tag, seit 13 Jahren
Was für eine Ausdauer! Jeden Tag illustriert Mark Addison Smith einen Satz, den er irgendwo aufgeschnappt hat. Seit dem 23. November 2008 hat er keinen einzigen Tag ausgesetzt.